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Handelsverband Journal RETAIL 4/2018

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Handelsverband Journal RETAIL 4/2018

— storys Wenn der

— storys Wenn der Postler nicht mehr klingelt Last Mile. In den USA und Europa ist ein Wettlauf um die letzte Meile bei der Zustellung von Produkten entbrannt. Der Schlüssel zur erfolgreichen „In-Home-Delivery“ liegt in einem smarten Türschloss. Die Amerikaner waren schon bisher sehr vertrauensvoll, wenn es um ihre Paketsendungen ging. Man braucht nur in den frühen Abendstunden durch die beschaulichen Wohngegenden am Capitol Hill in Seattle spazieren und einen Blick auf die Veranden werfen: Vor jeder dritten oder vierten Haustüre stapeln sich Versandpakete, die auf das Eintreffen ihrer Besitzer warten. Aus europäischer Perspektive verknotet sich da der Magen angesichts der Gutgläubigkeit der Hausbesitzer – aber John, Familienvater und Werbefachmann, versichert, dass man sich keine Sorgen machen müsse: „Bei uns in der Nachbarschaft lässt sich jeder seine Pakete vor die Haustür liefern. Gestohlen wird hier nichts.“ Die Geschichten von gelben Zetteln und wiederholt gescheiterten Zustellversuchen bei uns in Österreich kosten ihn nur ein müdes Lächeln. Tatsächlich sind die Bewohner der Stadt im Nordwesten der USA, die auch als Hauptquartier des Handelsriesen Amazon fungiert, merklich relaxter als Europäer, was die Sorge um ihr Eigentum anbelangt. Das zeigt sich nicht zuletzt an der Akzeptanz von Amazons neuestem Streich, einem Produkt namens „Amazon Key“: ein Türschloss, das via Smartphone gesteuert werden kann. Damit lässt sich aus der Ferne die Haustür versperren oder entriegeln, Gäste können einen temporären Zugang zum Haus erhalten – und der Amazon- Zusteller muss die Pakete nicht mehr vor der Haustüre ablegen, sondern kann sie mittels App öffnen, die Pakete in den Vorraum stellen und das Haus wieder absperren. Zustellung wird mitgefilmt In 37 US-amerikanischen Städten bietet Amazon dieses Service seit November des Vorjahres an, über die Nutzerzahlen ist bislang noch nichts bekannt. Die Berichte von Testern sind aber durchaus positiv: Gelobt wird die Video-Überwachung, die im rund 250 Dollar teuren Produktpaket inkludiert ist und den Hausbesitzer über jede Aktivität an seiner Haustür informiert. So erhält man auch jedes Mal ein kurzes Video auf sein Smartphone übermittelt, wenn eine Amazon-Bestellung ins Haus geliefert wird. Die im Internet verbreiteten Beispiele sehen ziemlich harmlos aus: Eine Tür öffnet sich, eine Hand schiebt ein Paket durch den Spalt, Tür wieder zu. Die Zusteller setzen dabei nicht einmal einen Fuß über die Schwelle. Müssen sie auch gar nicht, vor allem wenn sie Pakete in den Kofferraum geparkter Autos zustellen – auch diese Option ist Teil des Amazon Key-Angebots. Amazon setzt dabei auf das Vertrauen seiner Kunden, die schon länger darauf trainiert wurden, das Handelsunternehmen besonders nah an ihre Privatsphäre zu lassen. Der smarte Lautsprecher Echo mit Sprachassistentin Alexa, die jedem gesprochenen Laut innerhalb der eigenen vier Wände lauscht, soll Schätzungen zufolge bereits mehrere zehn Millionen Mal in den USA verkauft Foto: Amazon, Illustration: Shutterstock/Aleksei Derin 18 — Dezember 2018

— storys worden sein. Amazon beherrscht dort zwei Drittel des Marktes für Smart-Lautsprecher. In Europa sind die Seattler weniger dominant, auch die Einführung von Amazon Key steht hierzulande nicht akut vor der Tür: „Wir hoffen, eines Tages den Service allen Prime-Mitgliedern weltweit anbieten zu können“, lautet die diesbezüglich wenig informative Rückmeldung aus der Presseabteilung von Amazon Deutschland. Konkurrenz aus Graz Aber es sieht ohnehin nicht danach aus, als müsste man in Europa auf die Amerikaner warten. Das Grazer Startup Nuki arbeitet aktuell mit der niederländischen Supermarktkette Albert Heijn an einem Liefersystem, das noch weiter gehen soll als Amazon Key – nämlich direkt bis zum Kühlschrank der Kunden. „Wir untersuchen zurzeit die Möglichkeit, Lebensmittel mit der Hilfe von smarten Türschlössern zuzustellen. Natürlich machen wir das nur mit dem Einverständnis unserer Kunden“, bemüht sich der niederländische Marktführer um Klarstellung. Die notwendige Technik dafür kommt vom rasant wachsenden österreichischen Smart Lock-Anbieter Nuki, der 2015 via Kickstarter abgehoben ist und seitdem seinen Umsatz jedes Jahr verdoppeln konnte. Die Kooperation mit Albert Heijn ist ein Ergebnis dieses Erfolgslaufs, die Niederländer sind vergangenes Jahr auf die Grazer zugekommen. „In den zwei Jahren, in denen unser Produkt am Markt ist, haben wir uns in Europa eine führende Position erarbeitet. So waren wir in der Lage, die Anforderungen von Albert Heijn umsetzen zu können“, sagt Nuki-CEO Martin Pansy. Das Engagement in den Niederlanden, das nach einer Testphase in den Massenmarkt übergehen soll, ist nicht sein einziges Eisen im Feuer: „Nachdem Amazon in den USA vorgeprescht ist, sehen wir in Europa, dass sich die Bereitschaft der Retailer zur In-Home-Delivery öffnet. Innerhalb der nächsten sechs Monate werden wir zwei weitere europäische Märkte mit unseren Smart Locks für die Heimzustellung erschließen. Und einen Markt in Österreich“, sagt Pansy, ohne konkrete Namen zu nennen. So viel verrät er aber: Das österreichische Unternehmen, das zu den Kühlschränken will, bewege sich im selben Marktsegment und sei ähnlich groß wie die niederländische Supermarktkette Albert Heijn mit rund einem Drittel Marktanteil. Spanische Garagen In Spanien baut sich derweil mit dem Startup Homyhub ein Konkurrent für die Grazer auf, der nicht die Haustüren im Visier hat, sondern die Garagentore. Auch die lassen sich relativ einfach über Smartphones öffnen und schließen – da liegt es auf der Hand, diese Technik auch in die Paketzustellung einzubinden. Die Idee hat in mehreren Branchen für Aufsehen gesorgt, mittlerweile sind sowohl der Autozulieferbetrieb Magna als auch das britische Mobilfunkunternehmen Vodafone an Bord. Allein in Spanien gibt es immerhin neun Millionen Garagen – ein beachtliches Marktpotenzial für In-Home-Delivery. Und von den Abermillionen Kühlschränken, die in Europa beliefert werden könnten, ganz zu schweigen. ▪ Josef Puschitz Die letzte Meile Der Online-Handel beschäftigt uns mehr denn je. Vor allem deshalb, weil die Frage nach der berühmten „letzten Meile“ nicht gelöst ist. Man kann nicht mehr verleugnen, dass die eCommerce-Umsätze laufend wachsen – in manchen Branchen mehr, in anderen weniger. Die Aussagen zur Umsatzentwicklung gehen auseinander: Die KMU-Forschung spricht von 8 Mrd. Euro in Österreich, EHI und Statista gehen von 2,7 Mrd. aus. Die Differenz ergibt sich aufgrund unterschiedlicher Erhebungsarten beim Verbraucher. Fakt ist, dass Amazon den größten Anteil am Kuchen hat. Ungeachtet der Umsatzgröße des Unternehmens kämpfen alle mit der Logistik. Jene Meter, die der Konsument bis vor einigen Jahren für den Transport übernommen hat, müssen bei einer Zustellung vom Händler bewältigt werden. Die Ein preisung der letzten Meile in die Kalkulation ist das Kernelement eines erfolgreichen eCommerce. Nur wer richtig kalkuliert, wird überleben. Anton Salesny von der WU Wien sieht die größte Problematik darin, die letzte Meile dem Konsumenten zu „schenken“. Gratis-Zustellungen und Gratis-Kommissionierungen werden in Zukunft negativ zu Buche schlagen. Es ist richtig, dass sich Händler keiner Neuerung verwehren dürfen und alles ausprobieren, aber eCommerce nur wegen der betriebswirtschaftlich falsch umgesetzten letzten Meile aufs Spiel zu setzen, ist gefährlich. „Learn from the best“, heißt es in diesem Spiel, bei dem Amazon weit vorgerückt ist. Der Händler optimiert seine Lieferrouten je nach Zustellungsfrequenz eines Gebietes. Auch der Lebensmittelgroßhandel ist in seiner Zustellung ein Vorbild. Vermutlich wird man das Rad nicht neu erfinden müssen, sondern nur nach eigenem Muster neu aufziehen. Gabi Jiresch, Gründerin von retailreport.at Dezember 2018 — 19

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