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LE-5-2021

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LOGISTIK express Zeitschrift ePaper App | Ausgabe 5/2021

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LOGISTIK express 5/2021 | S62 Renaturierung oder aquatischer Exorzismus? Fließende Gewässer wurden über viele hundert Jahre „reguliert“. Einer der Hauptgründe für Regulierungsmaßnahmen war die Angst vor dem (Hoch)Wasser. Aber auch aus landwirtschaftlichen Gründen suchte man nach Möglichkeiten, das Wasser zu beseitigen. REDAKTION: PETER BAUMGARTNER Hey, Pippi Langstrumpf! Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune, ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt... LIFE-Projekt: Jetzt bekommen Wachau Touristen eine neue, viel schönere Au – für die nächsten 100 Jahre / Bild: Svetlana Werner PETER BAUMGARTNER REDAKTION LOGISTIK EXPRESS Der Dämon Wasser musste ausgetrieben werden, weil er Hab und Gut und sogar das Leben der Menschen bedrohte. Man könnte also sagen, Wasserbauer sind aquatische Exorzisten. Der Exorzist, der den Exorzismus durchführt, soll in eine direkte Kommunikation mit dem Dämon treten und versuchen, dessen „Beseitigung“ herbeizuführen. Beim Exorzismus geht es also um die Abwendung des Bösen bis hin zu dessen Ausrottung. Genau wie im Wasserbau. Die Rituale, die dabei angewendet wurden und noch werden, sind vielfältig. Vielleicht nennt man deshalb die Trockenlegung von Feuchtgebieten in der Fachsprache „Wasseraustrieb“. Jedenfalls geschah die Besitzergreifung von aquatischen Ökosystemen über die Jahrhunderte zunehmend effizient. Wie effizient, zeigt zum Beispiel eine Forschungsarbeit (ENVIEDAN (Environmental history of the Viennese Danube, Umweltgeschichte der Wiener Donau 1500 – 1890) von Verena Winiwarter. Die Wissenschaftlerin des Jahres 2013 hat mit einem interdisziplinären Team 500 Jahre Donauregulierung in Wien dokumentiert. Dabei wurde sichtbar, wie gravierend sich der Fluss selbst durch relativ einfache Wasserbaumethoden, in erdgeschichtlich gesehen kurzer Zeit, verändert hat. Fast unglaublich, wie aus einem Fluss, dessen Adern einst das Wiener Becken vollständig durchzogen, ein träg fließender Kanal wurde. Die langfristigen Folgen dieser menschlichen Aktivitäten sehen wir heute und sind Gegenstand einer Bewegung, die sich weltweit Renaturierung nennt. Inzwischen wurde nämlich erkannt, dass der Verlust von Überschwem-

mungsflächen ebenso verheerende Auswirkungen hat, wie seinerzeit der unregulierte Fluss. Allerdings werden jetzt die Kosten entstandener Schäden, zum Beispiel durch Überschwemmungen, um ein Vielfaches höher. Die neue Erkenntnis lautet daher, wir müssen an den Flüssen wieder einen naturnahen Zustand herbeiführen. Es muss „renaturiert“ werden. Menschliche Eingriffe in die Natur sollen durch menschliche Eingriffe weitestgehend beseitigt werden und langfristig soll sich das Ökosystem ohne menschliche Hilfe wieder selbst regenerieren und erhalten. Dominierendes Streben ist die „Konnektivität“. Das Prinzip Vernetzung dominiert den gesellschaftlichen Wandel in allen Lebensbereichen – so auch im Wasserbau. Grundlage für die Zielsetzung sind eine Reihe von Verordnungen, übergeordnete Planungen, Studien und Gesetze, die inzwischen festlegen, was bis wann und wie zu geschehen hat. Da gibt es zum Beispiel die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL, 2000/60/EG). Sie wurde 2000 von den EU-Mitgliedsstaaten verabschiedet und sollte die europäische Wasserpolitik grundlegend reformieren. Erstmals werden darin Gewässer (Flüsse, Seen, Übergangsgewässer, Grundwasser, Küstengewässer) als Ökosysteme verstanden und erstmals werden Ziele für einen besseren Zustand dieser mit konkreten Fristen beschrieben. Zentrale Teile der Richtlinie sind ein Verschlechterungsverbot und eine Verbesserungspflicht. Schon 2027 sollen diese Vorgaben erfüllt sein. Daneben gibt es den Green Deal der EU und als dessen Herzstück die EU-Biodiversitätsstrategie. Sie nennt als Ziel, die Biodiversität in Europa bis 2030 auf den Weg der Erholung zu bringen. Auf österreichischer Seite ist für die Zielsetzung neben den EU-Vorgaben das Wasserrechtsgesetz und der mittlerweile 3. Nationale Gewässerbewirtschaftungsplan (NGP), der noch 2021 veröffentlicht wird, maßgeblich. Der wiederum fußt auf einer Strategischen Umweltprüfung (SUP) und beschreibt zum Beispiel, welche Gewässerrenaturierungen schwerpunktmäßig durchzuführen sind und welche finanziellen Mittel dafür bereitgestellt werden. Was sich die Nationalstaaten hier vorgenommen haben, ist eine Mammutaufgabe. Ähnlich wie das Vorhaben, dass unsere Vorfahren vor 500 Jahren begonnen haben, stehen wir jetzt vor der Aufgabe, alles wieder zu korrigieren. Der Bericht über den „Zustand der Natur in der Europäischen Union“ (2013-2018) zeigt, dass sich der Erhaltungszustand der Lebensräume im Vergleich zur Vorperiode nicht verbessert hat. Nur 15 % der Lebensraumbewertungen weisen auf einen guten Erhaltungszustand hin. Man steht in der EU praktisch erst am Beginn des Handlungsbedarfes. Entsprechend dramatisch klingt die Warnung der EU, wenn die Bemühungen um eine Ökologisierung nicht beschleunigt werden: „Geschieht dies nicht, so wird dies nicht nur die fortgesetzte Erosion unseres gemeinsamen Naturerbes zur Folge haben, sondern auch die fortgesetzte Erosion der lebenswichtigen Funktionen, die dieses Erbe liefert und die letztlich die Grundlage für die Gesundheit und den Wohlstand der Menschen bilden“. Der nächste Zustandsbericht (2027) wird also zur Zäsur. Zahlreiche Umweltorganisationen in Österreich kritisieren und verweisen auf eine Studie der Universität für Bodenkultur (BOKU), dass aktuell nur noch 15 Prozent der Flüsse ökologisch intakt sind. Bereits 2010 hat der Rechnungshof die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie überprüft und kritisiert, dass die vorgegebenen Ziele bis 2027 nicht erreicht werden. Auch im zweiten Bericht (2019-Ökologisierung Fließgewässer, zweite Sanierungsperiode), kritisierte der RH die massiven Verzögerungen in Österreich, die sogar ein Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU zur Folge hatten. Aktuell kritisiert der WWF, dass Österreich nur einen Bruchteil des Finanzbedarfs zur Verfügung stellt, um die Vorhaben rechtzeitig umzusetzen. Besonders harsche Kritik übt der EU-RH an der EU-Agrar-

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