JOB & KARRIERE Bildung ist eine Supply Chain! Sie ist und bleibt ein Streitthema: die Bildungspolitik in Österreich. Egal, wen man fragt, fast niemand ist mit der aktuellen Situation zufrieden – und das schon seit Jahren. Das Bildungsvolksbegehren ist versandet. Das System krankt; wo und wie man das ändern kann, darüber hat sich Logistik express mit Dkfm. Heinz Pechek vom BMÖ unterhalten. HEINZ PECHEK INDEX: BMÖ www.bmoe.at Am 17. November 2015 soll eine Reformgruppe einen Vorschlag für eine Schulverwaltungsreform vorlegen, der dann – geht es nach dem Willen von Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek – im Ministerrat beschlossen wird. Knackpunkt: die Kompetenzenverteilung zwischen Bund und Ländern. Keiner will Macht (und Geld) abgeben, das war immer schon so. Das Problem dabei: während in Österreich seit Jahren über eine Neuaufstellung des Bildungssystems gestritten wird, bringen asiatische Länder hoch qualifizierte, motivierte Nachwuchskräfte zu Tausenden auf den Arbeitsmarkt. Qual der Wahl Der spätere Werdegang eines Menschen entscheidet sich recht früh: „Bereits mit 10 Jahren müssen junge Menschen oder deren Eltern sich für den weiteren Bildungsweg entscheiden, das ist Wahnsinn“, meint Pechek, Geschäftsführender Vorstand des Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ). „Es wäre viel besser, eine breite, gemeinsame Basisbildung für alle bis 14 oder noch besser 16 Jahre zu schaffen und die Schüler dann erst wählen zu lassen. Denn dann wissen sie, was sie wollen und wo ihre Talente liegen“, meint er. Vor allem ginge es darum, die Neugier zu wecken – und das sei im aktuellen System nicht der Fall. Ganz wichtig: Jene, die sich für eine Lehre entscheiden, dürfen später nicht „weniger wert“ sein. „Die Gesellschaft braucht nicht nur Akademiker. Das System darf nicht so aufgebaut sein, dass Leute nach einer beruflichen Ausbildung weniger wert sind als Uni-Absolventen. Aber wenn jemand aus dem wertschöpfenden Handwerk später draufkommt, dass er doch einen höheren Abschluss machen möchte, dann soll das möglich sein“, plädiert Pechek für mehr Chancengerechtigkeit. Denn eines ist in seinen Augen klar: die Wirtschaftsleistung eines Landes hängt direkt von der Bildung ab, permanentes Lernen im Sinne von beruflicher Weiterbildung sind heute unumgänglich. Schon Henry Ford meinte: „Jeder, der aufhört zu lernen, ist alt, egal ob das mit zwanzig oder mit achtzig ist.“ Und alt ist hier gleichbedeutend mit unproduktiv – und damit ersetzbar. Uni vs. FH? In Österreich hatten laut Statistik Austria im Jahr 2013 nur 14 Prozent der 25- bis 64-jährigen einen akademischen Abschluss. Das Land mit der höchsten Akademikerquote laut OECD-Bildungsstudie ist übrigens Russland: 53,5 Prozent der Bevölkerung verfügen über einen Hochschulabschluss! Dicht gefolgt von Kanada mit 52,6 Prozent und Japan mit 46,6 Prozent. „Wenn es weiter freien Zugang geben soll, dann muss die Lehrmethode verändert werden, wenn am Schluss wirklich gebildete Menschen herauskommen sollen. Administrative und organisatorische Prozesse im Bildungssystem müssen dringend verschlankt werden. Auch vermisse ich die Einbindung der Betroffenen (der Studenten, Anm.) in die Gestaltung des Unterrichts“, zählt Pechek auf. Er schlägt vor, dass Studierende höherer Semester in sog. Lerncommunities als Teil ihres Studiums bei der Betreuung in Kleingruppen helfen. „Meiner Meinung nach ist die Differenzierung zwischen Universität und Fachhochschule richtig. Eine FH braucht kein Promotionsrecht, auch wenn ich verstehe, warum sie es gerne hätten. Aber der Unterschied liegt klar auf der Hand: Die Universität 56 LOGISTIK express 4|2015
zeigt die gesamte Breite eines Wissensgebietes, während die FH aktuelles, unmittelbar anwendbares Wissen vermittelt.“ Master professional? Ginge es nach Pechek, gäbe es in Österreich (und nicht nur hier) bald einen „Master professional“ für ein berufsbegleitendes Studium. Pechek: „Berufsbegleitende Weiterbildung hat ganz andere Kriterien als eine Universität, sie ist fachspezifischer. Gerade in technischen und wirtschaftlichen Bereichen muss es in der Vermittlung unmittelbare Anwendbarkeit geben, und das geht viel besser mit anderen Lehrmethoden – wie beispielsweise Gruppenarbeiten – als in einer Massenvorlesung.“ Dabei wünscht er sich Inhalte nah an den Universitäten („hier ist gebündeltes Wissen vorhanden“) – und die Methodik nah am Menschen. Wichtig: „Wir müssen eine Transferbrücke schaffen zwischen dem Wissen und den Menschen. Bei Nachweis einer bestimmten Qualifikation sollte einfach auch ein Abschluss möglich sein.“ Denn nach wie vor scheuen viele Praktiker vor einer späteren akademischen Ausbildung zurück, dem könnte man mit einem solchen „Master professional“ abhelfen. Gleichzeitig wäre aber auch der Titel gut einzuordnen, die Diskussion über die Erlaubnis zur Verleihung akademischer Grade wäre auch beendet. „Man muss die Qualifikation nach außen sichtbar machen“, ergänzt Pechek. Das war auch der Grundgedanke für die früheren Lehrgänge universitären Charakters (LUC) des BMÖ, die bis Ende 2012 angeboten wurden. Der Grund für das generelle Verbot solcher Lehrgänge außeruniversitärer Bildungseinrichtungen war, dass es nach Einschätzung des Ministeriums zu geringe Qualitätssicherungsmöglichkeiten gab – und mancherorts einfach „Schindluder“ getrieben wurde. „Aber dass nun generell niemand mehr akademisch abgesicherte Ausbildungen machen darf, geht zu weit“, bedauert Pechek, „mein Vorschlag wäre Qualitätssicherung und Abschlussprüfung durch eine externe Prüfungskommission oder externe Beisitzer.“ Es wäre allerdings nicht Österreich, wenn es keine Lösung gäbe: in Kooperation mit einer Universität können weiterhin LUCs angeboten werden. Seit 2013 gibt es beim BMÖ außeruniversitäre MBA-Programme auf der Basis der geltenden Rechtslage in Österreich als Doppelstudium mit der Middlesex University London im Rahmen ihres österreichischen Partnerprogrammes mit der KMU- Akademie Linz. Danke, Bologna Dass wir heute mit Bachelors und Mastern statt mit Magistern und Doktoren zu tun haben, verdanken wir dem „Bologna Prozess“. Bereits 1999 beschlossen 29 europäische Bildungsminister in – erraten – Bologna (IT) die europaweite Harmonisierung von Studiengängen und –abschlüssen durch eine transnationale Hochschulreform. Ziel: ein einheitlicher Europäischer Hochschulraum. Dabei sollten die Systeme nicht unbedingt komplett vereinheitlicht, allerdings zur Vergleichbarkeit und Zusammenarbeit angenähert werden. Dies beinhaltete die Einführung des zyklischen Studiensystems (Bachelor, Master, PhD) sowie eines mit dem European Credit Transfer System (ECTS) kompatiblen Leistungspunktesystems. Wenn es um Vergleichbarkeit geht, gibt es auch seit 2008 den „Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen“ (EQR/European Qualifications Framework EQF). Zweck: eine Art Übersetzungshilfe. Die nationalen Qualifikationssysteme der Mitgliedsstaaten (NQF) sollen untereinander vergleichbar werden, damit beispielsweise gleichwertige Abschlüsse in allen Ländern gleich bewertet werden. Per Stand Juli 2015 haben 25 Länder ihre nationalen Qualifikationsrahmen mit dem EQR verlinkt. Neben Österreich auch Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Montenegro, die Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, die Schweiz, Slowenien, die Tschechische Republik und Ungarn. Die anderen Länder sollen noch heuer oder 2016 folgen. (AG) JEDER, DER AUFHÖRT ZU LERNEN, IST ALT, EGAL OB DAS MIT ZWANZIG ODER MIT ACHTZIG IST.“ UND ALT IST HIER GLEICH- BEDEUTEND MIT UNPRODUKTIV – UND DAMIT ERSETZBAR. REDAKTION: ANGELIKA GABOR a.gabor@ logistik-express.at LOGISTIK express 4|2015 57
ABS. LOGISTIK express / 08Z037679 M
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