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LE-3-2013

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LOGISTIK express Fachzeitschrift

schiffsLOGISTIK Wie

schiffsLOGISTIK Wie verlässlich ist die Schiffslogistik? Die Binnenschifffahrt im Spannungsfeld zwischen Streik und Hochwasser. Redaktion: Peter Baumgartner Ist der Ruf erst einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Logistiker haben es quasi mit der Muttermilch verinnerlicht - die Binnenschifffahrt ist kein verlässliches Transportmittel. Niemand stellt diesen Nimbus in Frage, und selten riskiert jemand, eigene Erfahrungen zu sammeln. Dabei spielen in Bezug auf die Verlässlichkeit der Schiffslogistik viele beeinflussbare Faktoren eine Rolle, die außerhalb der Wasserstraße liegen. Logistiker können mit dem Transportgerät Binnenschiff nur schlecht umgehen, weil ihnen anders als bei anderen Verkehrsträgern bei der Binnenschifffahrt schlicht das Wissen fehlt. Symptomatisch dafür steht die aktuelle Bemühung der Logistik FH Steyr, endlich einmal ordentliches Unterrichtsmaterial zum Thema Binnenschiff zu schaffen, damit man angehenden Logistikern das notwendige Wissen über dieses Transportmittel besser vermitteln kann. Obwohl, echte Player in der Logistik kennen das Thema sehr genau und entwickeln Binnenschifffahrt auch ohne Infofolder erfolgreich dort, wo andere glauben, dass dies gar nicht möglich ist. Trotzdem, der vermeintlich schlechte Ruf der Verlässlichkeit der Binnenschifffahrt hat auch einen wahren Kern. Und den genauer zu hinterfragen ist der Zweck dieses Beitrages. Was kritisiert wird, hat nämlich oft wenig bis gar nichts mit den Mängeln zu tun, für die das Binnenschiff herhalten muss. Wie aussagekräftig die meinungsbildenden Äußerungen über die Binnenschifffahrt sind, zeigt zum Beispiel schon sehr deutlich der alljährlich veröffentlichte Report über die Infrastruktur in Österreich (FBA/Create Connections). Eine repräsentative Befragung von 240 Managern und 100 Experten bringt darin zum Ausdruck, dass für sie (aktuell 80 %!) die Binnenschifffahrt im eigenen Bereich eine unwesentliche Rolle spielt … Wer bis vor rund zwanzig Jahren ein Binnenschiff mit einem Transport beauftragen wollte, hatte kaum eine andere Wahl, als sich mit den Transportbedingungen mehr oder weniger großer Reedereien auseinanderzusetzen. Viele dieser Reedereien hatten oder haben noch immer eine staatliche und unflexible Struktur. Mit den Nachwehen kämpft die Binnenschifffahrt noch heute. Damals wie heute gibt es aber auch große Logistikunternehmen, innerhalb derer die Binnenschifffahrt eine oft nicht unbedeutende Rolle spielt. Diese Unternehmen beschäftigen nicht nur eigenen Schiffsraum, sondern halten auch eine private Flotte unter Vertrag, um eigene und fremde Transporte abwickeln zu können. Streikende Mitarbeiter der WasserstraSSenverwaltung behindern die Binnenschifffahrt/ Quelle: ver.di Daneben spielen die zahlreichen Einzelunternehmen (Partikuliere) eine wesentliche Rolle in der Schiffslogistik. Sie haben oft nur ein Schiff und sind abhängig von der Auftragsvergabe durch Befrachter oder Genossenschaften. Der Firmeninhaber ist identisch mit dem Schiffsführer und muss unter Einhaltung geregelter Fahrzeiten das Schiff von A nach B bringen. Diese Schiffe fahren meist vierzehn Stunden pro Tag und gönnen sich zuweilen auch ein freies Wochenende. Ihnen fehlen also mindestens zehn Stunden Arbeitsleistung pro Tag, und obwohl sie diese Leistung bringen könnten (entsprechende personelle Ausstattung vorausgesetzt), tun sie es nicht, weil der Auftraggeber dies nicht verlangt oder nicht zu bezahlen bereit ist. Diese Schiffe kommen also nicht jeden Tag zehn Stunden zu spät, sondern später, weil der Auftraggeber lieber auf seine Ladung wartet anstatt für eine effizientere Fahrt zu bezahlen. Innerhalb der oben grob skizzierten Branchenstruktur spielt natürlich auch das zu den unterschiedlichsten Bedingungen angestellte/beschäftigte Personal eine entscheidende Rolle, wann und ob das Schiff abfährt oder ankommt. Früher war es zum Beispiel selbstverständlich, dass Schiffe die täglich 24 Stunden im Einsatz sind, auch einen Koch/ Köchin an Bord hatten. Das gibt es heute – außer bei den Russen - gar nicht mehr. Heute ist jedes Besatzungsmitglied Selbstversorger. Das bedeutete im schlechtesten Fall bei sieben Mann Besatzung täglich mindestens 14 Stunden Arbeitsausfall allein wegen Essensvorbereitung – Versorgung noch gar nicht eingerechnet. So wurde zum Beispiel die Versorgung mit Lebensmitteln zu einer der Hauptaufgaben für Schiffsführer, die eigentlich dafür ausgebildet sind, die Schiffsladung möglichst rasch und unbeschadet ans Ziel zu 20 LOGISTIK express Ausgabe 3/2013 www.logistik-express.com

SCHIFFSLOGISTIK bringen. Das Schiff eines Koches mit Kapitänspatent könnte also deutlich mehr leisten, aber essen muss halt auch ein Kapitän – wenn auch oft während der Fahrt und mit dem Teller auf den Knien. Eine verminderte Leistungsfähigkeit der Binnenschifffahrt hängt auch noch mit anderen Personalentscheidungen zusammen, die von Reedereien selber oder über Druck von politischer Seite getroffen werden (müssen). Wenn zum Beispiel angestellte Mitarbeiter an Bord so eine schlechte (oder verzögerte) Entlohnung bekommen, dass sie dadurch in Not geraten, ist es nicht verwunderlich, wenn sie ihr Einkommen auf Kosten ihres Arbeitgebers illegal aufbessern und vielleicht den Schiffstreibstoff verkaufen. Die Folgen sind abgesehen vom finanziellen Schaden für die Firma beträchtliche Verzögerungen im Fahrbetrieb. Eine Beeinträchtigung in die Reputation der Binnenschifffahrt wird auch dann bewusst in Kauf genommen, wenn zum Beispiel unqualifiziertes Personal an Bord eingesetzt wird. Im schlechtesten Fall kommt es dann zu Schiffsausfällen, deren Kosten vielleicht noch von der Versicherung gedeckt werden, aber daraus resultierende Verzögerungen im Transportablauf wirken sich nachhaltig negativ auf das Image der Binnenschifffahrt aus. Ein anderes Beispiel sind die unvermeidbaren Schleusenpassagen, an denen es an manchen Streckenabschnitten wirklich nicht mangelt. Für den geübten Schiffsführer sind sie eine leichte Übung, für einen unerfahrenen Patentträger können sie zur unüberwindlichen Hürde werden und selbst den stoischsten Schleusenwärter zur Weißglut bringen, wenn jemand für ein 20-Minuten-Manöver mehr als eine Stunde braucht. Noch länger kann es dauern, wenn sich der unerfahrene Schiffsführer nicht sicher ist, wie er sich im begrenzten Fahrwasser zu verhalten hat. Das kann auf 100 Kilometer schnell einmal zu mehreren Stunden Verspätung führen. Am Ende steht jedenfalls immer eine saftige Schiffsverspätung, für die nicht einmal der falsch eingesetzte Schiffsführer Schuld trägt. Es kann aber auch vorkommen, dass gutes Schiffspersonal mit so viel Nebentätigkeiten im Reiseverlauf überfrachtet wird, dass der Ablauf der eigentlichen Reise massiv behindert wird und der Kunde (Verlader) auf sein Schiff warten muss, obwohl es pünktlich hätte sein können. Aber das sind nur wenige Beispiele in einer ganzen Reihe an Betriebsstörungen, die durch eine verfehlte Personalpolitik negativ auf den Betriebsablauf durchschlagen und so unberechtigt den Ruf der Binnenschifffahrt insgesamt schädigen. „Wir machen Schifffahrt möglich.“ Mit diesem Slogan wirbt in Deutschland die Wasserstraßenverwaltung - aber nur, solange nicht gestreikt wird. Dann ist nämlich Schluss mit Binnenschifffahrt und die jüngsten Ereignisse um die Konsens resistenten Betonköpfe (Verhandlungspartner) zeigt, eine verlässliche Schifffahrt macht letztlich nur der Kapitän – wenn man ihn lässt und ordentlich dafür entlohnt. Dabei geht es im konkreten Streikfall gar nicht um die Binnenschifffahrt wie etwa in Frankreich oder Belgien. In Deutschland muss die Binnenschifffahrt als Druckmittel für eine Sache herhalten, die sie gar nichts angeht. Das ist so, wie wenn man den Flughafen Köln/ Bonn bestreikt, weil die Krankenschwestern in München ihre berechtigten Forderungen um mehr Lohn durchsetzen möchten. Am Ende steht eine Binnenschifffahrt, die wieder einmal nicht zur rechten Zeit beim Kunden ankommt. Eine pünktliche Binnenschifffahrt wird von den Schifffahrtsbehörden aber auch bei zahlreichen anderen Gelegenheiten verhindert. Ein typisches Beispiel ist die Schiffszulassung, die entscheidend dazu beiträgt, ob ein Schiff die erforderliche Leistung bringen kann oder im schlechtesten Fall gar nicht geeignet ist. Schmerzliche Erfahrungen mit den Behörden musste die Binnenschifffahrt – wie jedes Jahr – auch heuer wieder mit dem Hochwasser machen. Viele meinen zu Recht, da trägt nicht der überdurchschnittliche Niederschlag die Schuld, sondern das sind die Auswirkungen einer falschen Flussbewirtschaftung, einer falschen Flächenbewirtschaftung, mangelhafter Koordination und so weiter. Tatsächlich werden mancherorts strittige Fragen vor Gericht gebracht und in Deutschland will man nach der x-ten Hochwasserplage aktuell sogar über Ländergrenzen hinweg im Hochwasserschutz zusammenarbeiten. Fragt sich nur, warum nicht schon längst und warum die Binnenschifffahrt stellvertretend für die Politik als unzuverlässig dargestellt wird. Natürlich wollen auch die Kraftwerksbetreiber ihr Geschäft machen, und das können sie nur dann optimal, wenn sie ihre (selbstverständlich genehmigte) Wehrbetriebsordnung selber schreiben. Wenn bei der Abwägung der Interessen zwischen Wehrbetreiber und Schifffahrt die Schifffahrt einmal weniger berücksichtigt wird, dann ist das halt so und der Schifffahrtskunde muss eben auf seinen Container warten. „Umsetzungshemmnisse wasserrechtlicher Vorschriften können den Einsatz der Technik einschränken. Ggf. sollten diese Vorschriften im Hinblick auf die Nutzung der vorhandenen Potenziale und die tatsächlichen ökologischen Folgen eingeschränkt wechselnder Wasserstände überprüft werden“ – empfiehlt eine Studie den Kraftwerksbetreibern. Zum Glück gibt es auf der Autobahn keine Kraftwerke oder Schleusen auf den Schienenwegen. Man stelle sich nur vor, eine Doppelschleuse auf der Westautobahn. Eine Schleusenkammer ist jedes Jahr mehrere Monate wegen Wartungsarbeiten gesperrt, weil aus Kostengründen nur von Montag bis Freitag und nur tagsüber gearbeitet werden kann. Schnell wäre das Sprengkommando der Transportwirtschaft zur Stelle. Aber das Binnenschiff kann warten. Vier Stunden bei einer Schleuse ist keine Seltenheit. Umgerechnet sind das rund sechzig verplemperte Kilometer Fahrstrecke mit durchschnittlich 3.000 Tonnen Ladung. Zum Schluss sei noch die Wasserstraßeninfrastruktur erwähnt, die natürlich einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Verlässlichkeit der Binnenschifffahrt hat. Dazu muss man sagen, dass der Ausbauzustand der Wasserstraßen zumindest in den westeuropäischen Ländern durchaus nicht schlecht ist. Hier geht es aber um die Weiterentwicklung und um die Beseitigung von Bottlenecks. Der Ausbau der Wasserstraßen hält mit der Entwicklung des Binnenschiffs schon lange nicht mehr stand. Strecken, die früher von maximal 800 Tonnen Schiffen befahren wurden, müssen heute für 3.000 Tonnen Schiffe ausreichen. Brücken wurden noch in der Monarchie für kleine Frachtkähne gebaut und müssen heute von großen Containerschiffen irgendwie unterfahren werden und so weiter. Es ist, als wäre in den letzten 30 Jahren kein Kilometer Autobahn gebaut worden und der neue Gigaliner müsste über Feldwege nach Rotterdam donnern. Noch schlimmer ist es in den osteuropäischen Ländern, wo eine ungehinderte Nutzung der Wasserstraße oft zum Glücksfall wird. Da wird selbst in Afrika oder in China mehr Aufmerksamkeit in die Schiffsinfrastruktur gewidmet. Der Kunde eines Binnenschiffers sieht jedoch nur das wartende Schiff im Fluss während am linken Ufer auf der sechsspurigen Autobahn LKW-Kolonnen ungehindert rollen, und am rechten Ufer Frachtzüge viergleisig unterwegs sind. Kein Wunder also, wenn das viel beschworene umweltfreundliche und kostengünstige Binnenschiff zur Metapher verkommt und in der Erinnerung der Logistiker nur ein paar schlechte Erfahrungen haften bleiben. (PB) www.logistik-express.com LOGISTIK express Ausgabe 3/2013 21

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