LOGISTIK express 1/2022 | S48 TRANSPORT & SPEDITION Unsichere Zeiten stellen die Logistik vor besondere Herausforderungen Kaum scheint die unsägliche Pandemie halbwegs überstanden, sehen wir uns mit anderen Hiobsbotschaften konfrontiert: der Krieg in der Ukraine, ausufernde Energiepreise, Lieferengpässe, Containermangel, Klimaziele und das neue Lieferkettengesetz sind nur einige der Punkte, die die wirtschaftliche Entwicklung in Österreich bedrohen – von menschlichen Tragödien ganz abgesehen. Über Lösungswege und Prognosen sprach Logistik express mit Dipl.-Ing. Dr. Roman Stiftner. REDAKTION: ANGELIKA GABOR Dipl.-Ing. Dr. Roman Stiftner ist nicht nur Präsident der BVL - Bundesvereinigung Logistik Österreich und Aufsichtsratsmitglied des European Shippers' Council (ESC), sondern auch CEO & Generaldirektor bei Eumicon, Vizepräsident von Euromines sowie Geschäftsführer der Fachverbände Bergbau-Stahl und NE-Metalle in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Langweilig wird ihm aktuell noch weniger als sonst – es gilt, jede Menge Brandherde zu löschen, sowohl national, als auch international. Präsentestes Thema ist natürlich die Ukraine-Krise. Wenngleich sie ihren Anfang schon im Jahr 2014 nahm, als am 1. März das Oberhaus des russischen Parlaments der Entsendung von Truppen in die Ukraine zustimmte und damit die Weichen für die Annexion der Halbinsel Krim stellte. Stiftner selbst kennt die Situation aus erster Hand, schließlich hat er jahrelang dort gelebt und gearbeitet. „In der Ukraine gibt es einen starken Unterschied zwischen dem pro-westlichen und dem pro-russischen Teil im Osten. Donezk ist historisch russisch, die dort lebende Mehrheit fühlt sich Russland verbunden und die ukrainische Minderheit wird unterdrückt. Die Region ist im Gegensatz zum landwirtschaftlich geprägten Westen stark industrialisiert, und Russland hat großes Interesse daran, die Krim auch über den Landweg anzubinden.“ Der Donbass, zu Sowjetzeiten die größte Industrieregion der Sowjetunion, ist schon seit Jahren besetzt. „Dieser Konflikt wird meiner Meinung noch lange anhalten. Die Region könnte stabilisiert werden, wenn sich die Ukraine eine Anleihe an der österreichischen Geschichte nimmt.“ Auch Österreich befand sich einst in einer geopolitisch schwierigen Lage als
Pufferstaat – ohne die Unterzeichnung der Neutralitätserklärung nach dem 2. Weltkrieg hätte die Besatzung wohl nicht so schnell geendet. „In diesem Konflikt muss mit Augenmaß agiert werden. Natürlich ist die Lage für die Bewohner furchtbar. Aber Sanktionen führen zu Gegenmaßnahmen, und die Abhängigkeit von russischem Erdgas ist hoch. Schon jetzt sind die hohen Energiepreise eine Gefahr für den Standort und haben massive Auswirkungen auf die Produktion und die Handelswege.“ Weitere Gefahr: die Bahntrassen zwischen Europa und Asien führen durch Russland, als Ausweichoption gibt es nur den Seeweg… Wenige Tage nach diesem Gespräch marschierte Russland in der Ukraine ein. Wie sehen Sie die aktuelle Lage bei der Containerschifffahrt? „Hinsichtlich der Containerknappheit ist keine kurzfristige Entspannung zu erwarten, trotz etlicher Einschleifmaßnahmen. Man muss bedenken, dass rund 90 Prozent aller Güter in Österreich einen maritimen Transportanteil haben.“ Die Gründe für den Engpass sind vielfältig, aber hauptsächlich der Pandemie geschuldet. Durch den Rückgang der weltweiten Warenströme während der Lockdowns reduzierten Reedereien ihren Bestand, gleichzeitig landeten viele Container an ungeeigneten Standorten. Zudem kam es zu Staus in den Häfen und einer verringerten Hafenumschlagskapazität durch Personaleinsparungen. Das Resultat sind massiv gestiegene Kosten und unzuverlässige Fahrpläne. „Natürlich wünscht sich jeder stabile und planbare Logistikketten. Der weltweite Handel vor der Pandemie funktionierte so gut, weil die Logistikkosten niedrig waren. Doch bei zu hohen Containerkosten ergibt sich für Güter mit niedrigem inneren Wert kein Businesscase mehr, Wettbewerbsvorteile gehen verloren. Es kommt zu einer Verschiebung in der Wertschöpfungskette, „Nearshoring“ erfährt eine neue Bedeutung.“ Die engere Kooperation mit nähergelegenen Lieferanten bringt gleichzeitig auch ökologische Vorteile. „Der Verband erwartet keine Rückkehr zu den Containerpreisen zum Vorkrisenniveau, aber sie werden sich auf einem hohen Niveau stabilisieren.“ Aktuell würden die Reedereien hohe Profite erwirtschaften und er erhofft sich daher Investitionen in neue Schiffe. Bei neuen Schiffen könnte auch die Umweltbilanz verbessert werden: „Der Treibstoff der Hochseeschiffe ist eine Resteverwertung von Kohlenwasserstoffen. Leider verfügen noch nicht alle Frachter über entsprechende Filtersysteme, um die Rußpartikel aufzufangen. Das ist natürlich sehr unangenehm, aber umgerechnet auf die Tonne transportierter Güter sind die Emissionen unbedeutend. Der Schiffsverkehr hat einen Anteil von etwa drei Prozent an den Gesamt-CO2-Emissionen.“
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