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LE-1-2016

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LOGISTIK express Fachzeitschrift

LOGISTIK / SOFTWARE /

LOGISTIK / SOFTWARE / VERPACKUNG / TRANSPORT Tara, Tara … Die Kostenfalle ist da! Im Feinkostladen, wo das Verpackungspapier auch schon einmal den Preis einer Salami haben konnte, ist das Tara-Problem längst gelöst. Aber es gibt in der Logistik noch ein paar andere Verpackungsfallen. Manche Tara-Probleme sind so groß wie ein Donauschiff und haben dramatische Folgen für die Geldbörse und die Umwelt. AUTOR: PETER BAUMGARTNER Jeder Produzent sollte nach Verpackungsmöglichkeiten suchen, die seine Ware optimal schützt, an das jeweilige Transportsystem angepasst und kalkulierbar ist. Außerdem sollte in der Produktion bereits der ökologische Fußabdruck der Ware inklusive Verpackung berücksichtigt werden. Wenn die Industrie dann über diese ökonomischen und ökologischen Notwendigkeiten hinaus auch noch Fragen wie Infrastrukturbeschleunigung und Infrastrukturoptimierung berücksichtigt, dann hätte sie einen Platz auf der Top- Liste der besten Produzenten verdient. Aber solche Produzenten gibt es leider selten. So selten, dass es sich gar nicht lohnt, eine eigene Liste für Top-Produzenten zu führen. Deshalb gibt es andere Rankings, wo man sich Greenwashing auch erkaufen kann. Nehmen wir als Negativbeispiel aus der Konsumgüterindustrie, das Pulverwaschmittel. Waschmittel sind generell symptomatische Produkte für eine Gesellschaft in der entwickelten Welt, die in gigantischen Mengen verbraucht werden. Allein Henkel hat 2014 Produkte mit einem Gesamtgewicht von 7,9 Mio. Tonnen hergestellt. Nach vorsichtigen Schätzungen verbrauchen allein die Bundesbürger rund 800.000 Tonnen Waschmittel pro Jahr. Nun ist es leider so, dass Pulverwaschmittel angeblich ein Verpackungsvolumen brauchen, das weit über die Inhaltsmenge hinausgeht. Henkel sagt dazu: „Bei der Abfüllung des Pulvers reicht die Pulvermenge bis unter den Rand der Packung, da sich bei der Abfüllung von pulverförmigen Waschmitteln ein hoher Schüttkegel bildet. Nach der Abfüllung verliert das Pulver jedoch beispielsweise durch PERSIL: OPTIMALE VERPACKUNGS- LOGISTIK LÖST SICH IN LUFT AUF Rütteln beim Transport sowie durch das Hantieren bei den Händlern und Verbrauchern an Volumen: Einerseits entweicht Luft aus den Pulverzwischenräumen, andererseits verteilt sich das Pulver des Schüttkegels gleichmäßig im Karton. So fällt die Waschmittelmenge mit der Zeit optisch in sich zusammen und die Füllhöhe sinkt. Dies ist bei allen sogenannten pulverförmigen Schüttgütern der Fall.“ Es ist also nach Darstellung der Industrie ein von Gott gewolltes Verpackungsdesaster, dass eine Schachtel, wenn sie im Verkaufsregal landet, ein Drittel Luft beinhaltet. Kostbarer Platz, den wir auf der Straße und im Transportmittel dringend für mehr als nur warme Luft nützen sollten. Selbst ein Weltkonzern wie Henkel vermag so ein vergleichsweise kleines technisches Problem nicht zu lösen. Für Ingenieure ist das allerdings eine Beleidigung und kränkt sie zutiefst in ihrer Berufsehre. Denn, wenn Ingenieure ein Problem vorfinden, suchen sie nach Lösungen, und das Problem in der Schüttgutfördertechnik haben sie natürlich längst gelöst. Für die Verpackungslogistik haben sie spezielle, pneumatische Befüllungsanlagen entwickelt, die genau das Problem mit dem Schüttkegel lösen und im speziellen Fall ein Drittel Tara (!) einsparen könnten. Warum die Waschmittelindustrie innovative Verpackungslogistik nicht anwendet, kann nur so erklärt werden, dass sie daraus keinen Nutzen erzielt. Zudem strebt die Industrie mit ihren Logistikpartnern langfristige Geschäftsbeziehungen an. Damit verschafft sie sich eine Verhandlungsposition und Spielräume, die dazu geeignet sind, Produktions- und Managementfehler auf die Logistiker abzuschieben. Der Platzbedarf beim Transport, die optimale Ausnutzung der möglichen Zuladungsmenge oder eine platzsparende Lagerung können von Logistikern nicht mehr eigenverantwortlich gesteuert werden. Ihre Innovationsfreudigkeit endet dort, wo die Eigeninteressen der Industrie beginnen, 50 LOGISTIK EXPRESS 1/2016

und der Konsument bezahlt die ungenützte Tara gleich mehrfach. Statt einem Drittel Luft würde jeder Logistiker natürlich lieber Ware transportieren. Geht aber nicht, weil es dem Produzenten und Auftraggeber egal ist, wie sein Produkt zum Konsumenten kommt. Hauptsache zum günstigsten Transporttarif. Der Logistiksektor darf sich unterdessen darüber aufregen, dass er mit ständig wachsenden Umweltauflagen konfrontiert wird, die er vom kargen Transportlohn finanzieren muss. Lösen kann er das Problem nicht, weil auch ein LKW mit Euro-12-Abgasnorm für „die Fisch“ ist, wenn damit nur Luft in der Tara transportiert wird. In der Binnenschifffahrt wird das Gewicht der Ladung (außer bei flüssigen Produkten) über den Tiefgang des Schiffes ermittelt. Dazu ist es zunächst notwendig, das Gewicht des Schiffes ohne Ladung zu kennen. Also das sogenannte Leergewicht, quasi die Tara bzw. die schwimmende Verpackung. Dafür gibt es amtliche Tabellen, die Auskunft darüber geben, wie schwer das Schiff bei einem bestimmten Tiefgang ist. Eine genaue Ermittlung des Leertiefganges berücksichtigt immer den aktuellen Gewichtszustand des Schiffes vor der Beladung. Kapitäne sind also gut beraten, wenn sie eine möglichst optimale Befüllung für ihre Tara – sprich Schiff – haben wollen, dass das Schiff möglichst wenig Leertiefgang hat. Dies lässt sich auf unterschiedliche Art erreichen. Für die sichere Fahrt des Schiffes und den optimalen Betrieb ist aber nicht nur der Tiefgang (Ladung + Tara im Stillstand des Schiffes), sondern insbesondere die Abladetiefe in Fahrt maßgeblich. Die Abladetiefe des fahrenden Schiffes ergibt sich nicht nur aus dem Gewicht der Ladung und dem Leergewicht, sie steht vielmehr im ursächlichen Zusammenhang mit der Art, wie das Schiff gebaut ist und gefahren wird. Binnenschiffe in Fahrt sinken nämlich über den durch das Gewicht der Ladung und Tara bedingten Tiefgang hinaus unterschiedlich ein. Und hier passiert ein ähnliches Dilemma wie bei unserem Beispiel mit der Persil-Schachtel. Binnenschiffe werden oft falsch gebaut, schlecht befüllt oder schlicht falsch verwendet. Die Folge ist, dass die schwimmende Tara durch unpassende Bauform, Abmessung, falsche Beladung und/oder Verwendung nicht nur ökonomischen Schaden verursacht, sondern auch die Effizienz des Transportmittels aushebelt. Darüber hinaus wird auch noch die Kapazität SCHWIMMENDE TARA QUELLE: OTTO STEINDL der Wasserstraße insgesamt geschmälert. Ganz abgesehen vom wirtschaftlichen Schaden entstehen so wieder ökologische Schäden, die bei gleicher Transportmenge mit einer optimalen oder optimal verwendeten Tara nicht entstehen würden. Auch diese Defizite können selbst durch die Verwendung eines CO 2 -freien Motors nicht ausgeglichen werden. Allerdings, Binnenschiffe haben, wenn sie nicht beladen sind, einen kleinen Vorteil gegenüber einer Persil-Schachtel: Die schwimmende Schachtel fährt allein und braucht nicht noch zusätzlich einen LKW. „Es wäre vielleicht an der Zeit, das Verb „vordenken“ in den aktiven Sprachgebrauch aufzunehmen. Könnte es nicht sein, dass „Nachdenken darüber, was wir tun könnten“ in seinem impliziten Widerspruch schon die Ursache für viele unserer Krisen ist? Ist es die Ursache für das reaktive - statt proaktivem Verhalten?“ (Zitat: Ing. Michael Schober/Der ERP Tuner). Ja genau, dem kann man nur zustimmen. Wir brauchen mehr „Vordenker“. Fangen wir jetzt damit an: Das Finanzministerium möge einen spürbaren Tara-Zuschlag (wie bei den Eidgenossen) bei jenen Produzenten einheben, die ihre Schachteln mit Luft durch die Gegend transportieren lassen. (PB) PETER BAUMGARTNER 51

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