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Handelsverband Journal RETAIL 1/2019

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Handelsverband Journal RETAIL 1/2019

— auslage

— auslage Ermittlungsverfahren gegen Amazon. Dass Amazon nicht nur Onlinehändler, sondern auch Marktplatz für Drittanbieter ist, könnte man als Doppelfunktion bezeichnen. Man kann darin aber mit mehr Recht auch eine Unvereinbarkeit sehen, denn die auf dem Marktplatz gewonnenen Daten anderer Anbieter sind für den Onlinehändler Goldes wert. Die Bundeswettbewerbsbehörde hat daher nun, einer Beschwerde des Handelsverbands folgend, ein Ermittlungsverfahren gegen Amazon eingeleitet. Fairness nicht im Angebot? Illustration: Shutterstock/AWK07/E&L Amazon ist nicht nur der größte Onlinehändler der Welt, sondern auch in Österreich. Da brauchen andere gar nicht neidisch zu sein, das Unternehmen hat sich diese Position verdient. (Mit dem Wörtchen „redlich“ wollen wir aber, siehe weiter unten, in dem Fall sparsam umgehen.) Es hat den Onlinehandel großen Stils quasi erfunden, und es ist sagenhaft serviceorientiert. Der Kunde bleibt jederzeit über den Verbleib seiner Bestellung informiert, die in der Regel pünktlich und passend ankommt. Zusätzlich gibt es Bewertungen, Anregungen, nutzerfreundliche Zahlungsmodalitäten und vieles mehr. Jeder, der schon einmal bei Amazon bestellt hat – und in Österreich haben es 93 Prozent aller Online-Käufer mindestens einmal ge - tan –, wird das bestätigen können. Nur dass eine derartige Marktmacht, wie Amazon sie ausübt, auch so ihre Auswüchse und Schattenseiten haben kann. Nehmen wir nur das Beispiel Österreich, wo annähernd jeder zweite Euro, der im E-Commerce ausgegeben wird, zu Amazon fließt. Hier erzielte das Unternehmen zuletzt (2017) als Onlinehändler rund 690 Millionen Umsatz, wozu sich mindestens weitere 700 Millionen Euro über den „Amazon Marketplace“ addierten – damit ist es gleich zweifacher Marktführer. Der Marktplatz ist ja an sich eine gute Idee: Amazon fungiert als Plattform, auf der sich auch andere Onlineshops listen lassen können. Es kassiert dafür eine Provision beziehungsweise besorgt auch, via FBA (Fulfilment by Amazon), die Logistik. Ein Großteil der heimischen Onlinehändler ist zugleich auch auf dem Amazon-Marktplatz gelistet. Amazons Doppelrolle So weit, so schön. Bei näherem Hinsehen birgt die Konstellation aber große Unwägbarkeiten und Risiken für gelistete Händler. Denn Amazon hat quasi eine Doppelrolle: Auf der einen Seite ist es als Plattform deren Partner; und auf der anderen als Onlinehändler auch ihr Wettbewerber. Das ist ein bisschen so, wie wenn ein Geschäftsmann über Nacht in das Angebot seines Konkurrenten Einsicht nehmen und anderentags sein eigenes entsprechend anpassen könnte. Und so ist es auch: Amazon besitzt die Daten seiner auf dem Marktplatz gelisteten Händler und kennt deren Preise. Was liegt näher, als diese in seiner zweiten Funktion als Onlinehändler zu unterlaufen? Und übrigens auch als stationärer Händler, denn Amazon ist mittlerweile mit seiner „Retail“-Schiene auch dort gelandet. Tatsächlich gibt es Berichte, dass die Preise aller auf dem Marktplatz eingestellten Artikel von Amazon permanent gescannt und besonders günstige umgehend unterboten werden. Es liegt auf der Hand, dass Amazons im großen Stil stattfindende Preissenkungen – 2,5 Millionen Mal am Tag – vom jeweiligen preislichen Umfeld „inspiriert“ sind. Bei Bestsellern von Onlinehändlern auf dem Marktplatz wiederum, die Amazon natürlich anhand der Verkäufe und guten Bewertungen leicht erkennt, kann es die Preise ebenfalls unterlaufen – oder die Artikel gleich unter eigenem Namen (die Eigenmarke nennt sich AmazonBasics) und günstiger herausbringen. Marktplatzhändler werden so aus dem Markt gedrängt. Auch wer auf der Buy-Box, dem Einkaufswagenfeld, obenauf landet, wird von Amazon aufgrund seines Algorithmus aus 6 — April 2019

— auslage Preis und Bewertungen bestimmt, und dreimal darf man raten, wessen Produkte in Richtung Buy-Box gepusht werden. Eine weitere – durchaus auch ausgeübte – Handlungsoption von Amazon besteht in der einseitigen Vertragskündigung. Das Dilemma dabei, so Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands: „Kleine Webshop-Betreiber haben in Österreich mittelfristig kaum noch eine Marktchance und sind von einer Listung bei Amazon regelrecht abhängig. Viele Verbraucher starten ihre Produktsuche direkt dort. Aus der Sicht des Konsumenten existiert ein Produkt somit nicht, wenn es nicht bei Amazon gelistet ist.“ Amazon ist demnach ein Mitspieler, der zugleich auch die Spielregeln bestimmt. Man mag das eine Doppelfunktion nennen – man kann darin aber auch, wie der Handelsverband es tut, eine Unvereinbarkeit sehen. Rainer Will: „Als führender Marktplatz kann Amazon theoretisch die Daten der gelisteten Händler einsehen, deren Preise unterbieten und langfristig das gesamte Geschäft an sich binden.“ Er drückt sich vorsichtig aus, indem er das Wort „theoretisch“ verwendet. Tatsächlich liegen dem Handelsverband und deutschen Interessenvertretern Meldungen und Beschwerden von Onlinehändlern aus Österreich und Deutschland vor, dass Amazon genau wie geschildert vorgeht. Öffentlich reden möchte darüber allerdings so gut wie niemand, schon gar keine Betroffenen. Ein hochrangiger Vertreter eines maßgeblichen Online-Marktplatz-Wettbewerbers spricht erst unter Zusicherung von Anonymität: „Wir hören diese Klagen immer wieder von Amazon-Onlinehändlern, nur, die können sich nicht wehren und vor Gericht ziehen, weil sie sonst aus dem Geschäft sind! Zudem haben sie kaum Verkaufschancen, wenn sie nicht auch Amazons Liefersystem FBA akzeptieren. Druck wird von Amazon in vielfältiger Weise ausgeübt, nicht nur auf die Marktplatz-Händler, sondern auch auf eigene Lieferanten, so etwa durch Ausgleichsklauseln. Dabei holt sich Amazon die Differenz zwischen dem tatsächlichen Verkaufspreis und jenem, den Amazon erzielen muss, um den gewünschten Gewinn zu machen, einfach vom Lieferanten zurück.“ Handelsverband bringt Beschwerde ein Rainer Will hat vor allem die Auswirkungen auf die heimische Volkswirtschaft, für den Handel und mittelfristig die 600.000 Handelsangestellten im Blick: „Fast 60 Prozent aller Online-Umsätze fließen ins Ausland ab. Damit finanziert der österreichische Konsument rund 20.000 Arbeitsplätze im Ausland, was den heimischen Handel als Rückgrat der Wirtschaft, Beschäftigungsmotor und flächendeckenden Nahversorger massiv unter Druck bringt.“ Da die Politik sowohl in Österreich als auch in Deutschland sich der Thematik zwar sehr wohl bewusst ist, sich bislang aber nicht zu konkreten Schritten entschließen konnte, hat der Handelsverband im Dezember Beschwerde gegen Amazon bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) eingebracht. Diese Was die anderen sagen: Thomas Zehetner, Geschäftsführer von Thalia Österreich: „Als Marktführer im stationären Buchhandel in Österreich spürt natürlich auch Thalia den Wettbewerb durch Amazon. Die Verschränkung von Buchhandlung und Online-Geschäft funktioniert bei Thalia aber sehr gut und wird von den Konsumenten gerne angenommen. So kann man etwa ein Buch online bestellen und in der nächsten Thalia- Buchhandlung wenig später abholen. Aber in erster Linie profitieren wir als Buchhandlung, in der man schmökern kann und in der kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Einkaufen persönlich unterstützen. Wenig Sorge bereitet uns die Einsichtnahme von Amazon in die in seinem Marketplace Foto: Thalia gelisteten Onlinehändler: Die in Österreich bestehende Buchpreisbindung macht diese Frage obsolet. Generell unterstützt Thalia alle Maßnahmen des Gesetzgebers und der Interessenorganisationen, die einen fairen Wettbewerb für alle Marktteilnehmer zum Wohle der Konsumenten ermöglichen.“ Michael Stalzer, Prokurist bei Hartlauer: „Wir haben unseren eigenen Webshop und sind auf keinem Online-Marktplatz präsent. In bestimmten Segmenten spüren wir die Mitbewerber aus dem Online-Bereich. Da wir aber den Schwerpunkt auf den Verkauf von beratungsintensiven Produkten legen, können wir dort unsere Stärke in 160 Geschäften Foto: Hartlauer und mit unseren mehr als 1.500 Mitarbeitern voll ausspielen. Dem Vorstoß des Handelsverbands stehen wir sehr positiv gegenüber: Wettbewerb ist für Kunden und Unternehmer wichtig, denn er spornt an und sorgt für Innovation – solange er fair ist.“ Robert Hadzetovic, Geschäftsführer der Post E-Commerce, die den Online-Marktplatz shöpping.at betreibt: „Wir sehen uns als österreichische Alternative und setzen dabei unter anderem auf Regionalität und saisonale Themen. Geliefert wird ausschließlich mit der Österreichischen Post. Mittlerweile haben wir 1.000 Händler mit über zwei Millionen Produkten im Angebot.“ Foto: Post AG April 2019 — 7

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