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LE-4-2010

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TRANSPORT

TRANSPORT “Rent-a-Ship” - ein neues Angebot für die Transportlogistik Der harte und oft die Existenz bedrohende Kampf um jede Tonne Transportgut lässt die Binnenschifffahrt wirtschaftlich fast auf Grund laufen. Eine neue Idee kommt zur richtigen Zeit. Redaktion: PETER BAUMGARTNER Der europäischen Binnenschifffahrt steht das Wasser bis zum Hals, ist die allgemeine Darstellung der wirtschaftlichen Situation einer Transportbranche, die oft und gerne als Erlöser des Transportdesasters dargestellt wird. Zumindest ist in Sonntagsreden die Binnenschifffahrt der Verkehrsträger, der umweltfreundlich und kostengünstig noch viel Kapazität frei hat. Trotzdem hat es den Anschein, dass viele Binnenschiffer seit der Wirtschaftskrise 2008/09 kaum noch überleben können. Da ist von sittenwidrigen Tarifen die Rede und viele Kapitäne wissen nicht mehr, wohin morgen die Reise geht. Auch wenn die Situation heute als historisch katastrophal dargestellt wird, mehr oder weniger schlimme Krisen scheint die Binnenschifffahrt gepachtet zu haben: „Trotz des Mengenanstieges war die Ertragslage in der Binnenschifffahrt nicht zufrieden stellend, weil durch die Überkapazität der Flotte die Frachtraten sehr niedrig sind.“ – Das war nicht erst im letzten Jahr so, sondern schon 1985 in der deutschen Binnenschifffahrt. „Mit Schifffahrt lässt sich kein Geld verdienen, an der Schifffahrt aber schon.“ Sprichwort Ähnliche Notsituationen vorher und nachher sind ebenfalls dokumentiert – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Ob es um die Einführung der Schubschifffahrt ging oder die wachsende Konkurrenz durch die Aufhebung des Nachtfahrverbotes, die Aufhebung der Wochenendruhe, die EU-Harmonisierung, die Stahlkrise, die Freigabe des Kabotage- Vorbehaltes, eklatante Unterschiede bei der nationalen Förderpolitik in der EU, unrealistische Besatzungsvorschriften, der Balkankrieg oder die schienenlastige Förderpolitik. Immer hatte die Binnenschifffahrt mit Wettbewerbs- verzerrungen und schweren Marktstörungen zu kämpfen. Manchmal war es bereits so dramatisch, dass die Schifferseelsorge nicht mehr nur mit Trost und Zuspruch, sondern auch mit Geldmitteln aushelfen musste. Einzelne Schiffer tauchten trotz teilweise wachsender Transportvolumen aber sinkender Tarife in eine Tieflage, aus der heraus sie oft nicht mehr in der Lage waren, ihre Verbindlichkeiten zu finanzieren. 1995 schätzte man zum Beispiel 180 Betriebsaufgaben in der deutschen Binnenschifffahrt wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten (Tariffreigabe). Der Partikulier - Galeerensklave oder Ich AG? Um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Binnenschifffahrt in Europa besser verstehen zu können, ist es notwendig, sich ein wenig mit der gewachsenen Struktur dieses Gewerbes zu beschäftigen: Nur wenige Staaten innerhalb der Gemeinschaft betreiben eine Binnenschifffahrt. Rund 60 Prozent der Binnenschiffsflotte fahren unter holländischer Flagge, gefolgt von Deutschland, Belgien und Frankreich. Innerhalb des Gewerbes tragen so genannte Partikulier-Schiffe die Hauptlast des Transportes. Das war aber nicht immer so. Man unterscheidet zwischen alten und neuen Partikulieren. Alte Partikuliere, die oft schon über mehrere Generationen ein Schiff als Familienbetrieb fahren (das auch längst abgezahlt ist), haben gegenüber den neuen Partikulieren einen deutlichen Vorteil. Die Neuen sind nämlich erst durch den Rückzug der großen Reedereien entstanden, als diese begannen, sich aus Kostengründen ihrer Schiffe und ihres Personals zu entledigen. Um nicht den Arbeitsplatz zu verlieren, waren ehemals angestellte Schiffsführer über Nacht gezwungen, das Angebot ihres Arbeitgebers anzunehmen und ein ihnen angebotenes Schiff zu kaufen oder zu chartern. Die so entstandenen neuen Selbständigen dürfen sich nun als Hauspartikuliere über langfristige Beschäftigungsverträge mit ihrer Reederei erfreuen, die sich ihrerseits – frei von Kosten und Personalproblemen - auf die gewinnträchtigere Lagerhaltung und Befrachten beschränken kann. Kurzzeitig entstand sogar eine Diskussion, ob es sich bei den neuen Selbständigen nicht etwa um Scheinselbständige handelt. Aus dieser Zeit FOTO QUELLE:: PETER BAUMGARTNER 30 LOGISTIK express 4|2010 www.logistik-express.com

TRANSPORT Peter Baumgartner „Nasse Logistik“ Redaktion Logistik express stammt auch die Erkenntnis: „ mit Schifffahrt lässt sich kein Geld verdienen, an der Schifffahrt aber schon.“ Damit begann das Drehen an jeder nur möglichen Kostenschraube und am Ende gibt es heute eine Situation in der Binnenschifffahrt, die gekennzeichnet ist von überaltertem Schiffspersonal, weil zu wenig ausgebildet wurde und der Beruf als solches unattraktiv wurde. Das Durchschnittsalter vieler Schiffe – mit Ausnahme in Holland – ist hoch und eines der größten Probleme, die meisten Partikuliere sind schlecht oder gar nicht organisiert. Jeder fährt seinen eigenen Kurs und wird so in Krisenzeiten zur leichten Beute für Befrachter und Speditionen, die genau wissen, dass viele Partikuliere mit der Bank im Genick nur deshalb fahren, damit sie wenigstens ihren Zinsendienst erfüllen können. Glücklich kann sich nur der Partikulier schätzen, der auf keine Befrachter oder Reeder angewiesen ist, weil er in der Lage ist, selber zu bestimmen, wann, was und wo er fährt. Für viele Binnenschiffer ist der Beruf überhaupt nur deshalb noch reizvoll, weil sie sich als Herr über ein schwimmendes Reich fühlen können und weil das Schiff eben das ganze Jahr Heimat, Lebens- und Arbeitsplatz für die ganze Familie ist. Der Partikulier, ob man ihn lateinisch als part (Teil eines Ganzen), oder französisch als jemand der ohne Anstellung und Gewerbe sein Brot verdient, oder deutsch als Schiffseigner und Schiffsführer übersetzt, der Partikulier ist immer das schwächste Glied im Verkehrsgefüge Binnenschifffahrt, der jedoch immer die Hauptlast der Kosten und Verantwortung tragen muss. Die Zukunft der Binnenschifffahrt hat einen Namen: „Rent-a-Ship“ In Holland, dem wichtigsten Binnenschifffahrtsland in Europa, ist seit 1. November 2010 ein neues Logistikangebot aktiv, das anscheinend alle Zutaten hat, damit künftig der Partikulier und die verladende Wirtschaft auf gleicher Augenhöhe zu auskömmlichen Frachttarifen gelangen können. Hintergrund ist die oben beschriebene Ausgangslage in der gegenwärtigen Binnenschifffahrt, wo jetzt offensichtlich viele Partikuliere die Nase endgültig voll haben und nicht mehr darauf vertrauen, dass die Banken still halten oder von irgendwoher Geld in die leeren Kassen fließt. Das Zauberwort heißt Kooperation und soll unter dem Titel „Rent-a-Ship“ sehr schnell zu positiven Ergebnissen führen. Das scheint auch die letzte Chance zu sein, denn es steht viel auf dem Spiel – nicht nur für den einzelnen Partikulier. Wenn erst die chinesische Strategie eingreift, dann geht die gesamte Transportkette von der Fabrik in China bis zum Verbraucher in Europa und umgekehrt buchstäblich den Bach hinunter. Die Idee hinter dem von der Firma EUBO aus Zwijndrecht initiierten Logistikangebot besteht darin, dass der Betreiber – Anton van Megen – glaubt, jetzt das zustande bringen zu können, was bisher unmöglich war. Nämlich viele einzelne Partikuliere zu einer großen und starken Organisation vereinen zu können. Zwar gibt es schon jetzt und seit Jahrzehnten große Partikuliervereinigungen, van Megen will mehr und setzt auf ganz andere Inhalte. Der wesentliche Unterschied zwischen „Rent-a-Ship“ und herkömmlichen Partikuliergenossenschaften ist, dass der Partikulier eigenständiger Unternehmer bleibt und mit einem fix vereinbarten Einkommen rechnen kann – unabhängig davon, ob nun die aktuelle Wirtschaftssituation gut oder schlecht ist. „Rent-a-Ship“ bezahlt seinen Partikulieren einen fairen Mietpreis für das Schiff in Abhängigkeit von der Tragfähigkeit und verlangt im Gegenzug, dass das Schiff eine bestimmte Zeit im Jahr einsatzfähig ist. Der Verlader als Kunde von „Rent-a-Ship“ hat den Vorteil gegenüber bisherigen Partnern, dass er neben der Transportsicherheit und Qualität von mehr als 200 ständig zur Verfügung stehenden Schiffen immer weiß, was ihn sein Transportauftrag genau kosten wird. Unabhängig davon, ob es Niederwasser, Hochwasser oder Eis gibt, ob viel oder wenig Laderaum verfügbar ist, der Verlader kann wie der Partikulier stets mit einem Fixpreis rechen. Zusätzlich gibt es für den Verlader sogar ein Bonussystem. Wer mehr bucht zahlt weniger. Obwohl die EUBO mit dem System natürlich eine Tariferhöhung anstrebt um endlich auskömmliche Tarife auf Dauer zu sichern, sollen alle Partner vom neuen System profitieren. Aktuell hat die EUBO 204 Schiffe mit insgesamt 595.000 Tonnen Tragfähigkeit bereit stehen. Damit ist van Megen bereits etwas gelungen, was eigentlich in der Binnenschifffahrt bisher als völlig unmöglich galt, nämlich so viele Schiffer dazu zu bringen, dass sie an einem Seil ziehen. Allerdings gibt es natürlich auch Vorbehalte zum neuen Angebot. Mehrmals musste der Betriebsbeginn schon verschoben werden. Einmal stand illegale Preisabsprache im Raum. Manche wollen naturgemäß keine Veränderung. Einige Verlader glauben noch, Angebot und Nachfrage sollen den Preis bestimmen und die Meinung, dass am ganzen Desaster ohnehin nur die holländische Überkapazität schuld ist, steht ungeklärt im Raum. Van Megen ist jedenfalls überzeugt, dass die gegenwärtig zur Verfügung stehende Kapazität von etwa 3,5 Mio.Tonnen Laderaum (Holland, Belgien) keine Überkapazität darstellt, sondern notwendige Reserven sichern hilft. Tatsache ist, dass die Frachttarife kaum noch tiefer fallen können und jeder wünscht sich, dass es möglichst rasch wieder eine Kontinuität in der Binnenschifffahrt geben möge. Wenn das mit dem Angebot „Rent-a-Ship“ funktionieren sollte – wovon van Megen überzeugt ist – dann besteht die Chance, dass auf den europäischen Wasserstraßen ganz neue Perspektiven für die Transportwirtschaft eröffnet werden und es letztlich auch zu einer menschlicheren Arbeitswelt in der Binnenschifffahrt kommt, wo der Faktor sozial Kapital anscheinend schon verloren gegangen ist. Eine Schlüsselposition haben jetzt die finanzierenden Banken inne. Sie müssen den Mut haben, den Start der neuen Ideen zu finanzieren und die Verlader sind gefordert, dass sie das Angebot auch annehmen. Der Kopf ist rund damit die Gedanken die Möglichkeit haben, den Kurs zu ändern. (PB) www.logistik-express.com LOGISTIK express 4|2010 31

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