SUPPLY CHAIN So bleiben komplexe Supply- Chain-Netzwerke in der Spur Die Auswirkungen des Erdbebens in Japan im letzten Jahr sind überall zu spüren. Besonders die Halbleiterindustrie mit Produktion vor Ort ist schwer getroffen. Sony meldete im vergangenen Geschäftsjahr Verluste. Ein Grund: die Flutkatastrophe in Thailand. Weltweit stellen Unternehmen fest, dass ihre Lieferketten empfindlich auf wachsende Risiken reagieren. Wie können sie solch unkontrollierbare Ereignisse entlang der SC- Netzwerke in den Griff bekommen? Autor Michael Weidel, Director Supply Chain Management, Infor Nicht nur in fernen Ländern geschieht Unvorhergesehenes. Die gefährliche Kombination aus starkem Wind und heftigen Niederschlägen brachte vor einigen Wochen die Binnenschifffahrt in den Niederlanden zum Erliegen. Einige Kanäle in der Gegend um Enschede mussten geschlossen werden, da die Deiche zu brechen drohten. Viele Unternehmen konnten ihre Containertransporte zwischen den deutschen Nordseehäfen und Rotterdam nicht über die gewohnten, kostengünstigen Wasserwege durchführen, sondern mussten den um Vieles teureren Landweg nutzen. Will man den Einfluss von Naturkatastrophen auf weltweite Lieferketten minimieren, muss man den Faden ganz am Anfang aufnehmen, beim ihrem ‚wetterfesten‘ Design. Unternehmen betrachten bei ihrer Planung zwar Kostentreiber wie Produktionsmittel, Lagerbestände und Transportwege über die gesamte Lieferkette hinweg. Tritt jedoch eine Störung, beispielsweise eine Überschwemmung, auf, dann fehlt diesen Unternehmen ein Notfallplan, mit dem sie das Risiko minimieren und die Situation in den Griff bekommen können. Es gibt einen Industriezweig, der vormacht, wie es richtig geht: „In der pharmazeutischen Industrie, wo sowohl die Verfügbarkeit der Produkte als auch zertifizierte Herstellungsverfahren für Unternehmen eine absolut kritische Rolle spielen, ist die alternativlose Abstimmung der Supply Chain nicht akzeptabel“, erläutert Pieter Leijten, Vice President Supply Chain EMEA bei Infor. Für die Zulassung pharmazeutischer Produkte auf den weltweiten Märkten müssen die Hersteller Bestimmungen wie die der FDA (Food and Drug Administration) erfüllen. Jeder Hersteller muss jedes Werk und jeden einzelnen Herstellungsschritt für das jeweilige Arzneimittel kontrollieren und zertifizieren lassen. Das bedeutet zusätzliche Kosten. Es wäre sicher der kostengünstigste Weg, jeweils nur eine Produktionsanlage pro Wirkstoff zu zertifizieren. Doch was tun, wenn ausgerechnet dieses Werk dann durch eine Naturkatastrophe vom Rest der Welt abgeschnitten ist? Die damit verbundenen Risiken – schließlich hat der Hersteller einen Ruf zu verlieren – und Kosten wären ungleich höher. Leijten: „Damit die Lieferkette so stabil wie möglich gegen ungeplante Vorkommnisse aufgestellt ist, empfiehlt es sich, strategisch vorzugehen und mindestens zwei Produktionsanlagen pro Arzneimittel zu zertifizieren. Denn das Risiko, aufgrund einer optimalen, aber eben auch labilen Lieferkette die Produktion einstellen zu müssen und somit weder Mediziner noch Patienten mit den eigenen Produkten versorgen zu können, ist für unsere Kunden in der Pharmaindustrie nicht tragbar.“ Gegen alle Eventualitäten geimpft Pharmaunternehmen sind Pioniere im strategischen und sicheren Design ihrer Lieferketten. SCM-Lösungen helfen ihnen dabei, die Planung ihrer Lieferketten zu optimieren, alternative Wege mit ihren finanziellen Konsequenzen im Blick zu behalten und Notfallpläne im Bedarfsfall schnell und ohne Reibungsverluste umzusetzen. Die jüngsten Ereignisse in Japan zeigten, dass nicht alle Industrien diese Risiken beim Design ihrer Lieferketten im Blick haben. Einige Automobilhersteller zum Beispiel setzen auf japanische Lieferanten, die nirgendwo sonst auf der Welt zu finden sind. Die Bereitstellung spezifischer Teile dieser Lieferanten wurde schwerstens von den Folgen des Erdbebens betroffen. Mo- derne Supply Chain Netzwerke sind komplex. Häufig dreht es sich darum, eine Vielzahl von Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. „Dabei geht es in den meisten Fällen nicht um die ganz großen Naturkatastrophen“, fährt Pieter Leijten fort. Einflussgrößen können auch eine schwankende Nachfrage und die zum Ausgleich benötigten Liefermengen sein – etwa bei einer Promotion-Aktion, die erfolgreicher läuft als erwartet. Der Trend geht hin zu abteilungsübergreifenden Supply-Chain-Planungen. Unternehmen erstellen eine Vielzahl von ‚Was-wäre-wenn‘ Szenarien. Sie können diese gegebenenfalls gegeneinander halten und so eine Situation analysieren und schnell entscheiden, wie zu reagieren ist. Immer in Bewegung bleiben Die Ungewissheit über zukünftige Ereignisse und der Mangel an gesicherten Informationen machen es in der Praxis nicht leicht, flexibel zu bleiben. Das übliche Design eines SC-Netzwerks baut auf strategischen Entscheidungen auf, die in Stein gemeißelt scheinen. Ist erst einmal über Lieferanten, Produktionsstandorte oder Transportwege entschieden, wirkt sich das Supply-Chain- Design auf die gesamte Kostenstruktur des Unternehmens aus. Unternehmen, die diese Eck- und Angelpunkte fortlaufend simulieren und optimieren, bleiben handlungsfähig und benötigen lediglich kleine Justierungen. Die reine Planung einer effizienten Supply Chain reicht aber nicht aus; Unternehmen müssen heutzutage gleichsam schnell und dynamisch sein. Leistungsfähige SC-Lösungen unterstützen die Anwender bei der Entscheidungsfindung mit Szenarien, die ihnen helfen, Risiken zu identifizieren. Risiken wie Naturkatastrophen entlang der Lieferkette lassen sich nicht beherrschen. Aber die richtigen Methoden und Werkzeuge helfen Unternehmen dabei, flexibel zu bleiben und aus einer Vielzahl von Alternativen den richtigen Weg zu finden. Mit den richtigen Notfallplänen wirft auch eine Naturkatastrophe ein Unternehmen nicht so schnell aus der Bahn. (AT) FOTO: ISTOCKPHOTO.COM 40 LOGISTIK express Ausgabe 3/2012 www.logistik-express.com
InformationsLogistik Informationsflussmanagement statt stiller Post Im Gespräch mit Ass.-Prof. Dr. Susanne Altendorfer, Assistenzprofessorin des Lehrstuhls Industrielogistik an der Montanuniversität Leoben, wird bald klar, warum eine effiziente Vermittlung von Informationen heute besonders wichtig ist und Unternehmen sich aktiv mit Informationslogistik beschäftigen sollten. Redaktion: Anna STEINER Noch existiert kein eigener Lehrstuhl für Informationslogistik in Österreich. Auch an der Montanuniversität Leoben gibt es am Lehrstuhl für Industrielogistik noch keinen Schwerpunkt Informationslogistik. Das Thema Informationsflussmanagement wurde bisher nur in verschiedenen Lehrveranstaltungen angesprochen. Dass die Bedeutung organisierter Informationslogistik innerhalb eines Unternehmens in der österreichischen Wirtschaft zu wenig erkannt wird, kann zu Problemen innerhalb der gesamten Supply Chain führen. Davon betroffen ist nicht nur der Informations-, sondern im Endeffekt auch der Materialfluss. „Ein Informationsflussmanagement oder präziser die Informationslogistik findet aktuell sehr wohl statt. Doch sie wird innerhalb der Unternehmen nicht als solche identifiziert“, stellt Altendorfer fest. Wer sollte was, wann, wie in Erfahrung bringen? In kaum einem Unternehmen gibt es eine eigene Abteilung oder auch nur einzelne Mitarbeiter, die ausschließlich für die Koordinierung der Informationsflüsse zuständig sind. Das sollten sie aber. Laut Altendorfer bildet Informationslogistik die Schnittstelle zwischen Informatik, EDV und der Logistik selbst. Diese Schnittstelle kann zum wunden Punkt innerhalb eines Unternehmens werden, wenn ihr nicht ausreichend Beachtung geschenkt wird. Diese Problematik aufzudecken und Unternehmen bewusst zu machen, war die Motivation, mit einer Studie über Informationslogistik in Unternehmen zu beginnen. Durch die Studie soll eruiert werden, ob der Begriff Informationslogistik in österreichischen Unternehmen überhaupt bewusst verwendet wird. Gibt es festgesetzte Regeln den Informationsfluss betreffend? Oder passiert Kommunikation und damit Wissensübergabe sozusagen einfach so – nebenbei? Diese und andere Fragen sollen mittels eines elektronischen Fragebogens, der sich an österreichische Unternehmen richtet, beantwortet werden. Geplant ist weiters durch Expertengespräche, Probleme zu identifizieren und Lösungen zu erarbeiten. Die Ergebnisse der Studie werden nach Abschluss der Auswertung publiziert. „Das ist eine Möglichkeit für jede Firma, Schnittstellenbrüche in der Informationslogistik zu erkennen“, meint Altendorfer. Bekanntlich ist Erkenntnis der erste Schritt zur Besserung oder – wie in diesem Fall – der erste Schritt hin zu einem einwandfreien Informationsfluss. Damit Schnittstellenbrüche im Informationsfluss gar nicht erst entstehen können, ist es bestimmt nicht verkehrt, Informationslogistik mehr Bedeutung zuzumessen. Von der Flaschenpost zur Email Am Lehrstuhl für Industrielogistik wird ab dem kommenden Wintersemester erstmals das Freifach Informationsflussmanagement in der Logistik angeboten, wo es darum geht, die Bedeutung der Informationsflüsse erkennen zu können und die Hintergründe genauer zu erarbeiten. Susanne Altendorfer Unsere Website Logistik-express.com ist seit dem Jahr 2006 online und versorgt Sie seither mit den neuesten Nachrichten aus allen Bereichen der Logistik. Im Jahr 2008 haben wir mit unserer Printausgabe Logistik express einen weiteren Schritt gesetzt und forcieren mit 2012 unsere Publikation via E-Paper UND STEIGERN UNSERE FREQUENZ AUF SECHS AUSGABEN IM JAHR. Lesen Sie wirtschaftliche Themen rund um die Logistik und werden Sie so zum Vordenker in Ihrer Branche! Ab 2013 startet das Logistiklabor am Lehrstuhl. Im Zuge dieses Labors können interessierte StudentInnen an praktischen Beispielen erlernen, wo Schnittstellenbrüche im Material- und Informationsfluss entstehen können. In mehreren Projekten werden Informationsund Materialfluss in unterschiedlicher Art und Weise miteinander kombiniert, um zum Beispiel den Aufbau eines Lagers mittels Modellen arrangieren zu können, in einer Weise, dass alle nötigen Informationen gemeinsam mit den dazu passenden Materialien ankommen. Denn aus dem Alltag wissen wir, dass ein iPod ohne die richtige, lesbare Gebrauchsanweisung nur halb soviel wert ist. Interessant ist das Labor für alle IndustrielogistikstudentInnen. Die interdisziplinäre Lehrveranstaltung ermöglicht es den StudentInnen, neue Technologien auszuprobieren. Darunter unter anderen RFID Technologien zusammen mit reinen Logistik Tools: „Auch die richtige technische Ausstattung ist wichtig für einen funktionierenden Informationsfluss“, ergänzt Altendorfer. Sollte dieser Bereich gut angenommen werden, wäre es denkbar diesen Bereich „Informationslogistik“ noch weiter auszubauen. Unternehmen kann dies nur freuen. Absolventen aus diesem Bereich könnten es schaffen, die Kommunikation jedes Unternehmens auf den Punkt und damit einhergehend Informationen sicher von A nach B zu bringen. Dass dies ebenso wichtig ist wie die sichere Lieferung von Material, macht nicht nur das Beispiel „iPod ohne Gebrauchsanweisung“ deutlich. (AS) www.logistik-express.com LOGISTIK express Ausgabe 3/2012 41
Laden...
Laden...
Laden...